Spannende Details der „Pilgerreise“

Das Leben von Christian Stahlschmidt – vorgestellt von Thomas Ijewski und Dieter Siebel

Thomas Ijewski stellt am Schluss des spannenden Gesprächsabends über Johann Christian Stahlschmidts „Pilgerreise“ die Frage, ob jener wohl damit einverstanden gewesen wäre, dass seine Lebensgeschichte im Mittelpunkt steht. Vermutlich nicht. Denn, so zitiert der Freudenberger Pfarrer aus der 1799 erschienenen Erstausgabe, dort seien bezeichnender Weise nur die Anfangsbuchstaben seines Namens und Geburtsortes verzeichnet. Er habe eigentlich anonym bleiben wollen. „Das Leben sollte hinter seiner Botschaft zurückstehen.“

Wer war der am 3. März 1740 im Flecken geborene Johann Christian Stahlschmidt? Seinem Taufeintrag im Kirchenbuch fügte später ein Pfarrer den griechischen Begriff „Odysseus“ hinzu, um ihn als „Reisenden“ zu charakterisieren. Sich selbst verstand sich Stahlschmidt wohl eher als „Pilger“.

Eine heftige Auseinandersetzung mit seinem Vater gibt den Anstoß zur Flucht aus seinem Elternhaus. Ein theologisches Thema ist der Grund für den Streit. Christian Stahlschmidt liest „verbotene Bücher“ von Jacob Böhme (1575-1624), der sich unzufrieden mit dem offiziellen Luthertum gezeigt hatte, die „Amtskirche“ kritisierte und der für eine unmittelbare Beziehung jedes Menschen zur göttlichen Botschaft eintrat.

Das missfiel Vater Johann Stahlschmidt (1711-1781), der Nachbar des Pfarrers war. Die Stahlschmidts bewohnten das größte Haus des Fleckens, in dem sich heute das „Hotel zur Altstadt“ befindet. Es entsprach dem bürgerlichen Status des Vaters, der sich als Landhauptmann und Notar wie als Besitzer zweier „Stahlfeuer“ einen Namen gemacht hatte. Über entsprechende Größe verfügte sein Hausstand: Neben den Eltern bewohnten acht Geschwister, sechs Stahlschmiede sowie drei Knechte und drei Mägde das Haus, in dem sich zudem ein Pferdestall befand. Auch dies in der „Pilgerreise“ nachzulesen.

Johann Stahlschmidt züchtigte seinen Sohn mit der Peitsche, dieser musste ihm versprechen, nicht weiter Böhmes Schriften zu lesen. Es blieb ihm nur die Flucht.

Thomas Ijewski beschäftigt sich seit 2015 ganz intensiv mit dem Buch und der Lebensgeschichte Christian Stahlschmidts, forschte im In- und Ausland und brachte dabei eine Fülle von Details zutage. So ist der 19-jährige Christian in der Nacht von Sonntag auf Montag am 5. August 1759 vom Flecken aus über die Brüderstraße oder über die Poststraße Richtung Erdingen, Denklingen, Drabenderhöhe und Köln-Deutz losgezogen. Für die etwa 75 Kilometer lange Strecke dürfte er mindestens zwei Tage unterwegs gewesen sein. Denn am darauffolgenden Dienstag bestieg er vor 10:00 Uhr ein Segelschiff, Richtung Amsterdam.

Von Amsterdam aus begannen die Reisen Christian Stahlschmidt nach Asien und zurück, der weitere nach Amerika folgten. Seine zum Teil bedrückenden Erlebnisse schildert das Buch eindringlich, manche setzen ihm so zu, dass er glaubte, seine letzte Stunde habe geschlagen.

1765 kehrt Stahlschmidt nach Europa zurück, auch nach Freudenberg, begibt sich dann erneut nach Amerika, versucht sich an der Produktion von Schnürriemen, nimmt eine Stelle als Hauslehrer bei einem amerikanischen Offizier und Richter an, widmet sich der theologischen Fortbildung. Als Pfarrer steht er sieben Landgemeinden vor, erlebt die amerikanische Revolution und landet 1779 nach neun Jahren in der „Neuen Welt“ wieder in Europa.

Von Freudenberg führt ihn sein Weg über Elberfeld nach Mühlheim an der Ruhr, seinen Lebensunterhalt kann er durch eine lebenslange Jahresrente von 300 Gulden durch eine Gönnerin bestreiten.

1799 wird die „Pilgerreise“ veröffentlicht, im gleichen Jahr beteiligt sich Christian Stahlschmidt an der Gründung der Elberfelder Missionsgesellschaft.

Die zahlreichen Besucher des Vortragabends erlebten abwechselnd die Lesung von originalen Textstellen des Buches durch Dieter Siebel mit entsprechenden weiterführenden Erläuterungen durch Thomas Ijewski.

Diese spannende wie informative Zeitreise wird erneut am Donnerstag, 12. Oktober 2023 um 19:30 Uhr im 4Fachwerk-Museum angeboten.

Führungen durch die Ausstellung „Historische Wege und Straßen“

An folgenden Terminen werden Führungen durch die Ausstellung angeboten.

Mittwoch, 20. September 2023, 15:00 Uhr (Gottfried Theis)

Samstag, 23. September 2023, 15:00 Uhr (Gottfried Theis)

Sonntag, 1. Oktober 2023, 15:00 Uhr (Gottfried Theis)

Samstag, 21. 10. 2023, 15:00 Uhr (Klaus Siebel-Späth)

Samstag, 28. 10. 2023, 15:00 Uhr (Klaus Siebel-Späth)

Die Ausstellung ist noch bis Sonntag, 29.10.2023 immer mittwochs, samstag und sonntag von 14 bis 17 Uhr im 4Fachwerk Museum zu bewundern. Der Eintritt kostet 3 Euro.

Ausstellung „Historische Wege und Straßen“ eröffnet

Ein nachgebauter „Handwieser“, wie solche Hinweisschilder in früher Zeit hießen, gibt die Entfernung vom „Flecken“ nach Köln mit 12 Siegerländer Meilen, nach Siegen mit 1,5 Meilen an. Manfred Flender hat ihn mit handwerklichem Geschick entstehen lassen.

Mit ihm wird bereits vor dem Freudenberger 4Fachwerk Museum deutlich, dass es bei der aktuellen Ausstellung um Verkehrsgeschichte geht. Auch die Silhouette eines alten Karrens, in der Region als Romp bezeichnet, kündet von der Präsentation „Historische Wege und Straßen“.

Anlass für die Arbeitsgruppe Stadtgeschichte des Museums, sich mit dem Thema zu beschäftigen, bot die Erwähnung des Hileweges vor 975 Jahren. In der Urkunde vom 28. April 1048 präzisiert Erzbischof Eberhard von Trier die Grenzen des Kirchsprengels Haiger und nutzt den Hileweg dabei als Linienbeschreibung. Jene überregionale Handels- und Heerverbindung zog sich im Süden von der Wetterau durch das Siegerländer Eisenrevier Richtung Essen an der Ruhr zum Westfälischen Hellweg. Im Freudenberger Raum verlief er von Plittershagen über Mausbach nach Hohenhain, dann gen Hühnerkamp und Römershagen.

In dieser Region stießen die drei Erzdiözesen Köln (Sauerland), Mainz (Siegerland) und Trier (Haiger/Dillenburg) aneinander, dokumentiert durch einen „Drei-Herren-Stein“. Später sind es die politischen Territorien Sayn-Altenkirchen, Chur-Köln und Nassau-Siegen, die hier einen Anknüpfungspunkt fanden. In unserer Zeit sind es die Kreise Altenkirchen, Olpe und Siegen-Wittgenstein.

Bernd Brandemann stellte am Eröffnungsabend der Ausstellung die Forschungsergebnisse des Geschichts-Arbeitskreises vor. Besucher haben nun die Möglichkeit an einem großen Bildschirm digital aufbereitet nachvollziehen zu können, welche Routen zu welchem Zeitpunkt durch Freudenberg genutzt wurden. „Wir haben neben dem Hileweg die Brüderstraße und die Koblenz-Mindener Chaussee in den Blick genommen.“

Hierfür wurde eigens eine Übersichts-Karte generiert, in die die einzelnen Straßenrouten sortiert nach Zeitverläufen „einfließen“, programmiert von Manfred Flender.

Hilweg und Brüderweg kreuzten sich in Hohenhain und machten den Ort zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt. „Hohenhain war das Aachen des Mittelalters“, formulierte einst Denkmalpfleger Prof. Berthold Stötzel, der ebenso die Hohlwege als „Kulturnarben des Siegerlandes“ bezeichnete.

Das erste Wirtshaus entstand 1696 in Hohenhain, zwei weitere folgten 1770 und 1795 und ließen dem kleinen Ort große Bedeutung für die Fuhrleute zukommen. Einer alten Chronik zufolge hätten dort an die Hundert von ihnen in den drei Herbergen logiert. In dem Vortrag ging Brandemann auch auf die Lebens- und Reisebedingungen der Fuhrleute ein, zunächst „Kärrner“ genannt. Stötzel sieht in ihnen „Helden der Wirtschaftsgeschichte“, da sie erst den Handel der industriellen Produktion ermöglichten. Sie waren „Vertrauensleute“, da ihnen sowohl einerseits die Waren wie andererseits das dafür zu zahlende Entgelt anvertraut wurde.

Ein kleines handliches Buch zeigt in der Ausstellung, womit sich die Reisenden in früher Zeit informierten. Dem Museum ist es gelungen, eines der seltenen Exemplare des 1735 erschienenen Werkes „Jesus der getreueste Gefährte und Helfer zu Wasser und Lande“ zu erwerben, das theologisch Erbauliches enthält, aber auch Informationen zu Reisewegen, Entfernungen, Münz- und Gewichtsvergleichen wie die „nöthigsten Wörter und Redensarten in spanischer, französischer, italienischer, schwedischer, polnischer, ungarischer und türkischer Sprache“. Es enthält ebenfalls einen immerwährenden Kalender sowie Kartenmaterial.

Die in der Region so genannte Brüderstraße war Teil der „Brabanter Straße“, die Flandern im Westen mit Leipzig im Osten verband. Sie führte dabei geradlinig von Köln nach Siegen, wurde auch als Pilgerweg genutzt und verlief eben auch zuletzt durch den Ort Freudenberg: „Sie nahm den Weg über die Marktstraße, in der sich ebenso die Poststation und das Zollhaus befand.“

An der Brüderstraße lässt sich auch darstellen, wie politische Maßgaben ihren Verlauf in Freudenberg mehrfach veränderten. Zunächst führte sie von Wildenburg-Bahnhof über den Knippen zum Löffelberg, weiter über den Ischeroth zur Wilhelmshöhe. Danach änderte sich der Weg vom Knippen aus durch die Gambach, den Ohrndorfer Schlag in Richtung Anstoß wieder zur Wilhelmshöhe. Zuletzt, nach Entstehen der Burg Freudenberg verlief die Brüderstraße gemäß dem herrschaftlichen „Straßenzwang“ durch den Ort Freudenberg.

Als alte Heer- und Handelsstraße war die Brüderstraße ebenso Teil der „Via Regia“, der längsten und ältesten Landverbindung zwischen Ost- und Westeuropa. Der Europarat zeichnete die Strecke 2006 als Sinnbild für die Einigung Europas als eine seiner „Kulturrouten“ aus. Auch dazu werden im Museum Informationen angeboten. Insgesamt ist eine umfangreiche Begleitbroschüre zur Ausstellung kostenlos erhältlich.

Im 17. Jahrhundert zählte nach dem „Nürnberger Fahrplan“ übrigens Siegen zu den 24 bedeutendsten Handelsstädten, die Reise zwischen beiden Städten dauerte allerdings 52 Tage.

Zum Straßenbau gehört die vorherige Planung, die notwendiger Weise auf einer Kartierung aufsetzt. Dabei stießen die jüngsten Freudenberger Forschungen auf eine Überraschung. Den 1816 vorgelegten „Qkularplan über den Amtsbezirk Freudenberg“ zeichnete Johann Weygand Siebel (1780-1844), der im Nebengebäude des heutigen Museums im Alten Flecken lebte. Als 1807 dessen Sohn Johannes geboren wurde, lautete im Kirchenbuch seine Berufsbezeichnung als Vater noch „Schuhmacher“, 1830 wird er dort dann als „Geometer“ geführt. „Als ‚Landmesser‘ dürfte er eine größere Bedeutung besessen, da später sein Sohn Johannes (1807-1867) stets mit dem Namenzusatz ‚Geometers Sohn‘ geführt wird.“

Dass Straßen der Gewerbeförderung dienten, wird an der „Koblenz-Mindener Chaussee“ deutlich. Die Straße, die vom Löffelberg über Büschergrund nach Freudenberg und weiter nach Kirchen führte, entstand in den Jahren 1830/31. Sie sollte zunächst als privat finanziertes Bauprojekt errichtet werden, woran sich allerdings die Stadt Freudenberg nicht beteiligen wollte. Er als Militärstraße konnte sie umgesetzt werden. Später, 1906, bezeichnete sie der Freudenberger Chronist Sterzenbach als „schönste Straße der Stadt“, da an ihr zahlreiche Bürgerhäuser aber auch Industriebauten entstanden waren.

Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl historischer Karten und Abbildungen sowie widmet sich den „Landmessern“ mit ihren frühen Gerätschaften. Sie ist bis zum 29. Oktober 2023 zu sehen und bietet ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Wanderungen und Lesungen.

Das Museum ist mittwochs, Samstag und sonntags von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet. Sonderführungen sind auf Anfrage möglich.

Am Wochenende nach der Ausstellungseröffnungen begann bereits mit zwei Wanderungen das Rahmenprogramm.

Mitglieder des Arbeitskreises Stadtgeschichte, die Ausstellung und Broschüre vorbereiteten, sind in alphabetischer Reihenfolge Bernd Brandemann, Heinz Fischbach, Manfred Flender, Richard Flender, Dr. Christoph Galle, Detlef Köppen, Klaus Siebel-Späth und Gottfried Theis.