Eindrucksvolle Lesung im 4FACHWERK-Museum
„Aufgestanden ist er, welcher lange schlief, Aufgestanden unten aus Gewölben tief“. Auch mit diesen Gedichtzeilen aus „Der Krieg“ von Georg Heym verdeutlichte Ulrich Tiede den in der Literatur stattgefundenen Zeitenwandel hin zum Expressionismus: „Erstaunlich, wie Heym in seinen Zeilen die Schrecknisse des Krieges voraussah“.
Tiede eröffnete mit seinen Erläuterungen eine Lesung im Rahmenprogramm der Ausstellung „GEDENKEN.GEDANKEN“, mit der das Freudenberger 4FACHWERK-Museum an den Weltkrieg-Ausbruch vor 100 Jahren erinnert. Er gab zudem einen kurzen Abriss der deutschen bzw. der europäischen Geschichte, auch mit Blick auf das deutsche Bildungsideal im 19. Jahrhundert. „In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg war Deutschland im Umbruch, politisch fühlte es sich eingekreist von seinen Nachbarn, im Innern belasteten die schnell wachsende Städte mit der einhergehenden Landflucht“. Die zunehmende Industrialisierung, neue Berufe – all das habe bisherige Geistesgrößen und Lebensinhalte in Frage gestellt und auch zu neuen Sprachformen geführt, so Tiede. Gemeinsam mit Dr. Ingrid Leopold hatte er Lyrik und Prosa-Texte ausgesucht, die den Übergang von der Kriegsbegeisterung zum Entsetzen über die immer weiter um sich greifende Tötungsmaschinerie dokumentieren.
Viele junge Autoren hätten sich einer Zeit ausgeliefert gefühlt, die von Wertverlust gekennzeichnet war, vom Zerfall der menschlichen Beziehungen. Tiede: „Sie fassten nun selbst „Visionen des Untergangs in Worte. Oft war der Sprachstil überraschend und neu“. Knappheit und Härte hätten zum Beispiel die Prosa des westfälischen Dichters August Stramm geprägt. Er rezitierte dazu dessen sechs-zeiliges Gedicht „Patrouille“. Auch Verse von Georg Trakl beschrieben die apokalyptische Zeit: „…darüber die Sonne düster rollt; umfängt die Nacht sterbende Krieger, die wilde Klage ihrer zerbrochenen Münder“.
Dr. Ingrid Leopold und Ulrich Tiede wechselten sich in der eindrucksvoll vorgetragenen Lesung ab, bei der sie auch Hermann Hesse und den Meister der Satire und bitteren Ironie Kurt Tucholsky zu Wort kommen ließen.
„Wie eindeutig und weitsichtig die Texte schon sehr früh die ganze Katastrophe deutlich werden ließen und die Hintergründe aufzeigten, hat mich sehr bewegt“, äußerte einer der vielen Zuhörer. Das Museum war bis auf den letzten Platz gefüllt und man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so gebannt war das Publikum von der Textauswahl und dem Vortrag der beiden 4FACHWERK-Aktiven. Den Abschluss der Lesung bildete eine Geschichte von Wolfgang Borchert, der zu einem späteren Zeitpunkt lebte. Nach der ernsten Lektüre wurden die Zuhörer und Zuhörerinnen mit dem Gedicht „FRIEDE“ von Josef Reding entlassen.
Die Ausstellung selbst ist im Stadtmuseum noch bis zum 22. Oktober 2014 zu sehen.