Eröffnung der Ausstellung „Welt aus Papier“
Ihre Welt endet zwar mit dem Tischrand, ihre Kreativität ist dagegen grenzenlos: Modellbauer können eine eigene Welt schaffen, mit Pappe Proportionen und Raumzusammenhänge gestalten. Kaum eine andere Darstellungsform ermöglicht diese sinnlich-haptische Wahrnehmung von Architektur oder gegenständlichem Design. Der Welt des Modellbaus aus Papier ist jetzt eine Ausstellung im Freudenberger 4Fachwerk-Museum gewidmet. Vorsitzender Dieter Siebel konnte wieder zahlreiche interessierte Gäste zur Eröffnung begrüßen.
Bei den Brüder Rainer und Werner Petruck lässt sich eine „familiäre Vorbelastung“ für ihr Hobby nicht verleugnen. Schon ihr Vater baute Schiffsmodelle aus Holz. Der 99-Jährige pflegt seine Leidenschaft bis heute, erzählen die beiden im Gespräch mit Kuratorin Dr. Ingrid Leopold bei der Vernissage. Im Alter von zehn bis 14 Jahren bastelten sie damals bis nachts. Doch dann belegte zunächst ein anderes Hobby neben Beruf und Familie ihren Lebensmittelpunkt. Beide brillierten als Musiker, anfangs bei der bekannten Siegerländer Band „The Mashrooms“. Erst so „mit Fünfzig“ rückte der Modellbau bei ihnen wieder ins Blickfeld. Sie verschrieben sich dem Werkstoff Papier und gehen seitdem mit Enthusiasmus ans Werk.
Gebäude und Straßenszenen sind die Spezialität von Rainer Petruck. In seinen Dioramen setzt er Häuser in eine Landschaft und ergänzt sie zusätzlich mit Figuren oder Fahrzeugen. „Es sollen Bilder aus dem Leben entstehen“, sagt er. Ein polnischer Kollege lenkte seine Aufmerksamkeit auf die französische Stadt Lisieux, die vor ihrer Zerstörung im II. Weltkrieg als mittelalterliches Schmuckstück mit normannischen Fachwerkhäusern galt. Mit liebevoller Detailtreue und seinem gestalterischen wie handwerklichen Geschick ließ er in 18-monatiger Bauzeit nach historischem Bildmaterial alte Baukörper von dort aus Pappe entstehen. Ihm gelingt es mit seiner Darstellung, dass diese bauliche Vergangenheit nicht zu einer „vergessenen Welt“ gehört, sondern er sie anschaulich in Erinnerung ruft und zu Bewunderung für eine unverwechselbare Identität-stiftende Baukultur führt. Rainer Petruck‘s Modelle setzen ein Ausrufezeichen, stellen mehr als „heile Welt“ dar, weil im Auge der Betrachter der Kontrast zu häufig fehlendem Flair mancher heutiger städtebaulicher Normarchitektur deutlich wird.
Werner Petrucks Interesse gilt der maritimen Welt. Mit Skalpell und Lupe baut der studierte Elektrotechniker Schiffsmodelle, wie gesagt aus Papier. Die Ausstellungsbesucher konnten es kaum glauben: Vor ihnen steht ein Miniatur-Ozean-Riese aus bis zu 8000 Teilen, bei dem selbst 450 Stühle an 150 Tischen nicht fehlen. In unzähligen Stunden konzentrierten Arbeitens nehmen dreidimensionale Schiffskörper ihre detailgetreue Gestalt an. Auch der Dritte im Bunde, der seine Werke im 4Fachwerk-Museum ausstellt,
Reinhard Fabisch aus Menden, begann seine Modellbau-Karriere als Kind. Eine Ritterburg zählt zu seinen ersten Werken. Doch ebenso bei ihm ruhte sein Hobby – bis zum Jahr 2007. Erste gebaute Miniaturen entstanden als besondere Geschenke für Freunde und Familie. Er schwärmte für Motorräder: „Ich habe solche als Modelle aus Papier gebaut, als Illusion, wie ich mir meinen ‚Feuerstuhl‘ wünschte.“ Fabisch interessierte sich für antiquarische Risse alter Schiffe und entdeckte einen Bausatz der Galeone „Roter Löwe“, eines 1597 in den Niederlanden gebauten Segelschiffes. „Der entsprach allerdings nicht der Wirklichkeit,“ recherchierte er und entwickelte für sich Baupläne, die dem Originalzustand entsprachen. Und dann legte er mit handwerklicher Kunstfertigkeit los. Der zweite Schritt der Entwicklung: Das Schiff legt jetzt vor dem Modell des Danziger Krantores an.
Forschungsarbeit und genaue Beobachtung vor Ort begleitete Reinhard Fabisch ebenso bei dem Projekt „Burg Altena“. Sogar Drohnenaufnahmen nutzte er, um das Umfeld zu erkunden, damit sein Modell detailgetreu in eine Landschaft hineinpasst.
Die Ausstellung im 4Fachwerk-Museum lässt erkennen, dass auch in Zeiten von Virtual-Reality-Brillen und vieler digitaler Werkzeuge „gebastelten Miniaturen“ durchaus eine Zukunft bleibt. Die Modelle sorgten für intensives gemeinsames Betrachten, für Fragen nach Details oder geschichtlichen Hintergründen, auch nach Technik und boten so reichlich Gesprächsstoff. Viel Bewunderung galt den passionierten Modellbauern für ihre eingesetzte Zeit, ihre Kreativität, für ihre Beharrlichkeit, Qualität im Kleinen umzusetzen.
Die Präsentation „Die Welt aus Papier“ ist in Freudenberg bis zum 9. Juli 2023 zu sehen. Nicht nur etablierte Modelbau-Fans werden hier auf ihre Kosten kommen.